Die Geschichte von Pluto
- Chantal

- 10. Dez.
- 6 Min. Lesezeit
Heute vor sechs Jahren ist ein lebensfroher Wirbelwind eingezogen – der Podenco-Mischling Pluto.
Seine Vergangenheit ist weitgehend unbekannt. Er wurde vermutlich in Ibiza geboren – unter welchen Umständen weiss niemand. War er Teil eines geplanten Wurfes? Ein Zufallsprodukt des Strassenlebens? Hatte er Geschwister, eine Mutter, die sich um ihn sorgen konnte, vielleicht sogar eine Familie?
Man weiss es nicht.
Was man jedoch weiss, ist Folgendes:
Im April 2019 wurde auf den Strassen Ibizas ein junger Hund aufgelesen, man schätzte ihn damals auf etwa ein halbes Jahr. Sein Geburtsdatum wurde für den spanischen Impfpass auf den 01.11.2018 gesetzt. Er kam in ein Tierheim – ein kleiner, wilder Welpe, freundlich und neugierig. Der perfekte Kandidat, um in die Schweiz vermittelt zu werden.
Ich, die seit Kindheit mit allerlei Tieren zusammengelebt hatte, wollte schon immer einen eigenen Hund. Im Sommer 2019 entschied ich mich aber – wie ich damals dachte – gegen einen Hund und für ein Pferd. Die Geschichte von Champus habe ich bereits dieses Jahr veröffentlicht, du findest sie hier:
2019 war kein leichtes Jahr. Trotz des frisch erfüllten Pferdetraums ging meine psychische Gesundheit steil bergab. Im September wurde ich krankgeschrieben – und ein Gedanke verfestigte sich langsam:
«Jetzt könnte ich einen Hund holen.»
Es war nicht einmal eine dumme Idee. Mein damaliger Arbeitgeber erlaubte Hunde im Büro, und nach meiner Auszeit war geplant, mein Pensum langsam zu steigern. Ideal, um einen vierbeinigen Kumpel ans Büroleben zu gewöhnen.
In den Facebook-Gruppen, in denen ich schon länger stöberte, entdeckte ich eines Tages ein Inserat: Ein grosser, bulliger Hund namens Django, vermittelt von einem St. Galler-Tierheim. Auf ihn bewarb ich mich – nicht auf Pluto. Ich bekam die Nachricht, dass Django bereits auf Probe sei und, wenn alles nach Plan verläuft, bleiben dürfe.
«Toll», dachte ich – und war zugleich enttäuscht.
Man fragte mich, was ich denn suche. Für mich war klar:
1. Gross sollte er sein – schliesslich bin ich mit Schweizer Sennenhunden aufgewachsen.
2. Aktiv muss er sein – er sollte mich in Zukunft auf Ausritte begleiten können.
3. Gleichzeitig muss er sich zur Couch-Potato-Karriere eignen – Büro ist Büro.
Ich bekam rasch eine Antwort – es gäbe wohl einen perfekten Kandidaten für mich, der in den nächsten Tagen von Ibiza in die Schweiz reisen sollte.
Einige Momente später schaute mich ein grosser, hellfarbener Hund an – mit bekifftem Blick. Auf den Fotos sah Pluto aus, als hätte er die Nacht durchgefeiert. Schlitzaugen, freundlich, aber dünn.

Wir vereinbarten einen Termin. Mein Plan: Auf dem Heimweg aus den Ferien in Ischgl am Tierheim anhalten. Meine Mama funkte dazwischen – sie bestand darauf, dass ich ihr nachfahre, war es doch schliesslich meine erste längere Autofahrt, seit ich meinen Führerschein erworben hatte. Und ich war noch nicht bereit, ihr zu gestehen, dass ich nach dem Pferdekauf im Sommer nun schon einen Hund anschauen wollte.
Der Termin wurde verschoben. Ich wurde nervöser. War das wirklich der richtige Zeitpunkt? War ich soweit? Klar, ich war mit Hunden aufgewachsen – aber einen eigenen zu haben, ist nochmal eine ganz andere Sache. Und die vielgehörten Sätze «mit einem Hund musst du bei jedem Wetter raus» oder «du kannst ihn nicht einfach alleine lassen» halfen nicht unbedingt.
Im Tierheim erwartete mich ein aufgedrehtes, überschwängliches Nervenbündel, das zu aufgeregt war, mich zu begrüssen. Er wirkte noch dünner als auf den Fotos. Auf die Frage, ob das Gewicht normal sei, wurde mir „ist halt ein Podenco“, geantwortet. Hätte ich Podenco vorher gegoogelt, wäre die Hundewahl vielleicht anders verlaufen - als Windhund-ähnliche Rasse sind Podencos sehr schlank. Ausserdem wird ihnen ein sehr starker Jagdtrieb und eine hohe Eigenständigkeit nachgesagt. Die Erziehung erfordert entsprechend sehr viel Geduld, Konsequenz und Erfahrung, vom Freilauf ohne Leine wird meist abgeraten. Hätte ich mich gegen Pluto entschieden? Wir werden es nie wissen.

Der erste Spaziergang beim Tierheim war unspektakulär: Zerren an der Leine, schnüffeln, kaum Zeit fürs Geschäft. Ich war fasziniert, begeistert von diesem fröhlichen, aufmerksamen Hund, der alles neugierig begutachten musste und sich gegenüber einer wildfremden Person so lebensfroh und offen verhielt. Zurück im Tierheim wurde ich gefragt, was ich denn von Pluto halte. Meine Antwort war ohne ein Zögern schneller gesagt, als ich nachdenken konnte:
«Am liebsten würde ich ihn gleich mitnehmen!»
«Das können wir einrichten.»
Zwanzig Minuten später sass Pluto – inklusive Halsband, Leine, Bett, Futternäpfen, Transportbox und Futter für die zehntägige Probezeit – in meinem Auto. Verdutzt und ein bisschen überfordert mit all dem, was gerade passiert war, machte ich mich – mit einem Hund in meinem Kofferraum! – auf den Nachhauseweg.
Die ersten Nächte bestanden aus wenig Schlaf und viel Zähneknirschen. Alle halbe Stunde gingen wir raus. Doch bald verstand Pluto, was draussen und was drinnen ist. Und noch wichtiger: Er lernte, mir mitzuteilen, wenn er raus muss.
Am dritten Tag wagten wir uns in den öV, Bus und Tram standen auf dem Plan. Ziel: Der Arbeitsplatz meiner Mutter. Mit einem ungläubigen Blick, als sie uns sah, begrüsste sie uns nicht etwa mit einem „Hallo“, sondern mit:
«Du hast dir jetzt aber nicht wirklich einen Hund geholt?»
Ich erklärte: Probe, alles unverbindlich, vielleicht Rückgabe. Sie lachte nur wissend:
«Ach Mädchen, lüg dich nicht an – der Hund geht nirgendwo hin.»
Das war der Moment, in dem ich wusste: Okay, Mama hat ihren Segen gegeben.
Der Stallbesuch am selben Tag klärte die alles entscheidende Frage: Pferde. Angst oder Aggression?
Pluto sass verängstigt im Kofferraum und weigerte sich auszusteigen. Gut. Angst ist okay. Mit Angst kann ich arbeiten. Noch am selben Tag sagte ich dem Tierheim zu – diesen Hund möchte ich behalten.
Einige Tage später fand die offizielle Übergabe statt – Vertrag, Platzkontrolle, Schutzgebühr. Aus zehn Tagen Probe wurden sieben, und ich hatte meinen ersten eigenen Hund.
Und seither?
In sechs Jahren haben Pluto und ich viel erlebt. Höhen, Tiefen, alles dazwischen. Er war – neben Champus – mein grösster Halt in dunklen Momenten. Er bringt mich bis heute zur Ruhe, wenn das Leben wieder einmal übersprudelt. Bringt mich zum Lächeln mit seiner fröhlichen, lebensfrohen Art. Bringt mich zum Verzweifeln mit seinen klaren, starken Forderungen. Bringt mich zur Weissglut, zu Momenten, in denen ich ihm drohe: "Ich steck dich zurück ins Tierheim!". Als ob ich das jemals tun würde.
Er ist eigensinnig, unabhängig, und doch weiss ich, dass ich sein Mensch bin. Und er meine erste, eigene Hundeseele.
Ich habe viel gelernt und ich würde einiges anders machen. Zum Beispiel den Rückruf von Anfang an sauber trainieren. Vielleicht dürfte er dann heute öfter ohne Leine laufen. So trägt er eben GPS-Tracker und eine Hundemarke mit meiner Telefonnummer – sicher ist sicher und die Hundemarke hat sich bereits bewährt.
Pluto ist ein konstanter Begleiter in meinem Leben. Ein Hund, der sich im Büro erstaunlich unaufgeregt eingelebt hat, der mich manchmal gnadenlos nervt, wenn ihm langweilig ist oder wenn er etwas wirklich dringend möchte – und der mich im nächsten Moment wieder zum Lachen bringt. Mit seiner fröhlichen, teils tollpatschigen Art, mit seinem unerschütterlichen Optimismus, der selbst dann strahlt, wenn alles andere schwer und laut wird. Auch in meinem Freundeskreis hat Pluto einen besonderen Stellenwert: So werde ich teilweise aufgefordert, „unter keinen Umständen ohne Pluto aufzutauchen“; Begrüsst wird fast immer zuerst Pluto. Offenbar bin ich nur das Taxi, er der Ehrengast – auf den Ruf „Pluto!“ höre ich wohl teilweise besser als er.
Er ist der letzte meiner drei «Musketiere» aus 2019. Derjenige, der geblieben ist – und immer noch neben mir steht – gerade jetzt, wo vieles geht, sich verändert und neu sortiert werden muss. Pluto erkennt, wenn ich traurig bin, setzt sich zu mir, fordert Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten, ist Seelen-Sorger, geduldiger Zuhörer – und doch auch einfach „nur“ Hund.
Und vielleicht ist das das schönste Fazit nach sechs gemeinsamen Jahren:
Er muss nichts Besonderes leisten, nichts beweisen, nichts perfekt machen. Er darf genau so sein, wie er ist – mein Wirbelwind, mein Clown, mein Trostpflaster, meine Aufgabe.
Pluto ist mein Hund.
Ich bin sein Mensch.
Und ja, manchmal frisst er heimlich ganze Leckerli-Packungen weg oder erledigt unauffällig die Reste der gefüllten Zucchini, wenn wir sie nur einmal in seiner Reichweite stehen lassen. Er klaut gefrorenes Hackfleisch vom Tisch, dass eigentlich auftauen soll und verschlingt die ganze Portion. Bedient sich im Stall an den Karotten, die für die Pferde gedacht sind oder frisst sich durch das frisch gewechselte Verbandsmaterial. Stiehlt klammheimlich die flauschigen Lammfell-Putzhandschuhe oder Bürsten fürs Pferd und will damit spielen. Schliesslich ist dieser arme Hund ständig gelangweilt, unterbeschäftigt, wird nicht gekrault und Futter gibt es sowieso nie. (Das ist eine Ergänzung aus Pluto's Sicht - bitte nicht gleich den Tierschutz rufen.)
Er fordert Aufmerksamkeit ein – manchmal charmant, manchmal unglaublich penetrant und immer mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er nicht Hund, sondern Chef meines Kalenders.
Was die „vielgehörten Sätze“ angeht – „mit einem Hund musst du bei jedem Wetter raus“ – nun ja. Pluto würde dem entschieden widersprechen. Bei Regen und Schnee möchte er am liebsten nur kurz vor die Tür, Geschäft erledigen, sofort wieder rein und dann bitte einfach nur dabei sein. Seinen Mantel zieht er nicht gerne an - auch wenn er ohne kläglich friert und seinem Unmut mit lautstarkem Winseln Luft verschafft.
Es ist nicht immer harmonisch, nicht immer ideal – aber echt.
Und genau das reicht.
Mehr als genug.




























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